© Daniel Schutti, 2013
Alles rund um das Wetter im Dreiländereck
Vernebelter Klimawandel
Wenn Wissenschaft der Versuch ist, Ordnung in unsere Erfahrungen zu bringen, dann
haben die Klimaforscher einen Orden verdient. Sie sind die wahren Helden der Empirie.
Seit dem Fall der Berliner Mauer liefern sie, organisiert als weltumspannendes Netz von
Dateninterpreten, Gutachtern und Obergutachtern, regelmäßig und ehrenamtlich alle
fünf Jahre ein paar tausend Berichtsseiten ab, auf denen die ökologischen Wirkungen
unseres zivilisatorischen Treibens aufgelistet werden. Für den anstehenden Report des
Weltklimarats IPCC allein sind mehr als fünfzigtausend Fachkommentare eingegangen.
Nicht zu vergessen der ganz normale Publikationsbetrieb mit Tausenden
Studienergebnissen.
Zuletzt haben die Klimatologen Indizien präsentiert, die erklären sollen, warum die
globale Erwärmung seit ein paar Jahren eine Pause eingelegt hat. Eine natürliche
Schwankung der riesigen Wärmepumpe im Pazifischen Ozean hat offenkundig den
steilen Anstieg der Temperaturwerte, der in den neunziger Jahren noch unvermeidlich
zu sein schien, mehr oder weniger neutralisiert - vorübergehend aber nur, wie die
Wissenschaft mitteilt, denn jede Phase eines natürlichen Zyklus kommt irgendwann
auch zu einem Ende. Der von Menschen angetriebene Klimawandel aber nicht, vorerst
jedenfalls nicht.
Überflüssige Fragen
Die Wissenschaft kann das freilich nicht hieb- und stichfest beweisen. Sie sammelt Erfahrungen, aber kein
Experiment der Welt kann die Zusammenhänge zweifelsfrei belegen - wie so vieles, was sich zwischen
Himmel und Erde abspielt. Absolut sicher ist nichts. Mehr noch: Da sie die lange Klimawandelpause nicht
schon in den neunziger Jahren vorhergesagt hatte, wie viele das offenbar von einer naturwissenschaftlichen
Disziplin erwarten, die mit Supercomputern ausgestattet ist und damit komplexe „Erdsystem“-Modelle bis weit
ins dritte Jahrtausend hinein betreibt, nützt der Klimaforschung natürlich alles Erfahrungswissen nichts. Die
Geier, die auf solche Lücken nur gewartet haben und über ihren Köpfen kreisen, lassen kein gutes Haar an
den Empirikern. Und so kommt es, dass in Alltagsgesprächen, Vorträgen, Blogs und Zeitungsartikeln oft
weniger der Stand der Erkenntnisse interessiert als die persönliche Meinung.
Glauben Sie noch an den Klimawandel? Die Frage, die eigentlich heißen müsste: Glauben Sie noch den
Klimaforschern?, ist vollkommen überflüssig. Der beschleunigte Klimawandel, ob groß oder klein, ob mit oder
ohne Pausen, ist empirisch hinreichend belegt. Wer die Frage dennoch stellt oder gar die These damit
verbindet, die ganze Sache habe sich als Hokuspokus entpuppt und müsse ad acta gelegt werden, der
vernebelt und verrät vor allem eines: eigene Interessen. Ob Lobbyisten, Besserwisser oder
Verschwörungstheoretiker - was sie produzieren ist so ziemlich das Gegenteil von Erfahrungswissen.
Klimapolitik ist keine Farce
Dass die Meere durch den Kohlendioxideintrag schleichend versauern; dass die Gletscher immer schneller
schmelzen; dass viele Tier- und Pflanzenpopulationen schrumpfen oder Zuflucht in klimatisch zuträglicheren
Gegenden suchen; dass auch Menschen unter den rapiden Veränderungen leiden, das sind unleugbare
Beobachtungen, die der Steuerzahler sich hat einiges kosten lassen. Die richtige, die vorausblickende Frage
kann deshalb nur eine moralische sein: Was ist zu tun, wer trägt Verantwortung? Die Repräsentanten der
beiden größten Klimasünderstaaten, der amerikanische und der chinesische Präsident, Obama und Xi
Jingping, haben auf dem G-20-Gipfel eine vage Antwort gegeben. Sie haben vereinbart, gemeinsam für ein
weltweites Verbot fluorierter Treibhausgase, sogenannter HFC, einzutreten. Diese industriellen Gase hatte
man einst als Ersatz für die verbotenen FCKWs eingeführt, ihre Klimaschädlichkeit wurde aber unterschätzt.
Ihre Wirkung entspricht insgesamt etwa der von zwei Jahren globaler Kohlendioxidemission. Klimapolitisch ist
das nicht mehr als ein Lebenszeichen. Aber es ist, nach einer Phase, in der nicht nur die Welttemperaturen
stagnierten, sondern auch die Luft für multilaterale Klimapolitik immer dünner wurde, zumindest ein Hinweis:
Klimapolitik ist keine Farce, so wenig wie der Klimawandel als Auslöser.
Der Richtungswechsel in eine nachhaltigere Zukunft soll also weiter gelten. Nur: Nüchtern betrachtet, ist der
ökologische Umbau weiterhin vor allem eine Absicht. Die Emissionsbilanzen sind, global gesehen, miserabel.
Daran hat sich nichts geändert. Und die Forschung? Sie ist zwar zu einer empirischen Großmacht geworden,
sie hat gesellschaftliches Gewicht, aber sie setzt auch einiges aufs Spiel. Sie steigt regelmäßig im
Weltklimarat mit der Politik ins Bett, lässt sich von Regierungsvertretern ihren Schlussbericht absegnen; sie
hat durch Schlamperei Skandale produziert, ihr Wahrheitsanspruch hat durch bloßgestellte Wissenslücken
gelitten. Zu guter Letzt wird sie nun mitten in den Vorbereitungen auf den fünften Klimabericht auch noch
wegen Heimlichtuerei verspottet. Mit wissenschaftlichen Idealen hat das alles nicht mehr viel zu tun. Vielleicht
hat der IPCC den Friedensnobelpreis verdient, als Stimme der Wissenschaft und im Sinne des Klimaschutzes
braucht er mehr Unabhängigkeit. Mindestens.
Quelle: FAZ